Freispruch für Gewerkschafterin
Nachwehen der Missstimmung an der Fachhochschule OST vor Kreisgericht: Umfrage der VPOD-Sekretärin Alexandra Akeret war korrekt.
Marcel Elsener
Eine Gewerkschaft vor Gericht?
Selbstverständlich vertreten Gewerkschaften ihre Mitglieder nötigenfalls vor Gericht, aber dass sie selber vor Gericht antreten müssen, kommt äusserst selten vor. Am Freitag war das am Kreisgericht St.Gallen der Fall, wo sich die VPOD-Regionalsekretärin Alexandra Akeret wegen möglicher Datenschutzverstösse verantworten musste– eine Premiere für die Gewerkschafterin, SP-Stadtparlamentarierin und neuerdings Kantonsrätin, und dies just zwei Tage nach dem Feiertag der Gewerkschaften. Hatte der VPOD, der Verband des Personals öffentlicher Dienste, im April 2022 mit seiner Mitarbeitenden-Umfrage am Departement Soziale Arbeit der Ostschweizer Fachhochschule OST Persönlichkeitsrechte und demnach den Datenschutz verletzt? Die Staatsanwaltschaft sah dies gegeben, weil die Gewerkschaftsvertreterin der betroffenen Departementsleiterin nur unvollständig und teils falsch Auskunft über die Umfrage und ihre gesammelten Personendaten erteilt hatte.
Privatklägerin und Anwälte blieben Verhandlung fern.
Die Verhandlung begann über eine halbe Stunde verspätet: Vergeblich warteten der Einzelrichter und die Beschuldigte mit Anwalt und Angehörigen auf die Privatklägerin und ihre Anwälte. Diese hätten mitgeteilt, dass sie verhindert seien, richteten sie dem Richter aus, der nicht informiert war. Der Anwalt der Gewerkschafterin wertete die Abwesenheit der Anwälte «von der Zürcher Bahnhofstrasse» nicht als Missverständnis, sondern als Respektlosigkeit. Er erwarte vom Gericht eine Ordnungsbusse wegen Verstosses gegen die Anwesenheitspflicht. Zürich spielte insofern eine zweite Rolle, als dass sich die St.Galler Gewerkschafterin gemäss Ratschlag aus der VPOD-Zentrale an einer ähnlichen Umfrage an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) orientierte. Sie habe, dem «Hilferuf» von verzweifelten Mitgliedern entsprechend, ein «Stimmungsbild» der Unzufriedenheit im Departement Soziale Arbeit erhalten und somit auch mit der Schulleitung ins Gespräch kommen wollen. Dabei habe sie «nichts falsch machen» und «niemanden angreifen» wollen, erklärte Akeret.
Dass sie mit der Umfrage auch Personendaten sammelte, nämlich Meinungen und Werturteile über die Departementsleiterin, wie der Richter betonte, sei ihr nicht bewusst gewesen. Die Ergebnisse der 61 Stimmen aus der Umfrage, die das Ausmass der Missstimmung und die «Angstkultur» bestätigten, habe sie im Gespräch mit der Betroffenen mitteilen wollen. Aber diese habe von der Auswertung, die nur auf ihrem Laptop einsehbar blieb, nichts hören wollen. Dass fast gleichzeitig nach dem «positiven» Austausch 18 Fragen aus der Anwaltskanzlei der Privatklägerin eintrafen, habe sie überrascht. Sie habe geglaubt, erschöpfend Auskunft gegeben zu
haben.
Anwalt vermutet Revanche gegen Gewerkschaft
Akerets Anwalt, ein erfahrener St.Galler Gewerkschaftsanwalt, machte in seinem fulminanten, humorgetränkten Plädoyer klar, dass es «nur am Rand» um die damalige Departementsleiterin und Prorektorin gehe. Vielmehr betrachte er den OST-Rektor als treibende Kraft hinter der Strafrechtsklage, die eine «anti-gewerkschaftliche Massnahme und Revanche» sei. Der Rektor habe sich «aufgeplustert» und mit rechtlichen Schritten gedroht, er habe die Umfrage verhindern wollen und vertrete eine «antiquierte und autoritäre» Haltung, die nicht dem aktuellen Grundrecht entspreche. Zur Gewerkschaftsfreiheit gehöre gemäss Bundesgerichtsurteil auch das Zutrittsrecht an Schulen. «Diese Fachhochschule irrleuchtet», sagte der Anwalt. Allem Anschein nach habe sie den hochbezahlten Zürcher Anwälten die Vollmacht zum weiteren Verfahren erteilt, obwohl diese die Frist zur zivilrechtlichen Klage unbenutzt verstreichen liessen. Dies wohl aus dem Grund, weil sie «Angst vor den Kostenfolgen hatte». Nun zahle die Zeche der unsinnigen Klage nicht die öffentlich-rechtliche Institution, aber der «gleiche Steuerzahler». Im Strafrecht seien die Anforderungen derart hoch, dass es in 30 Jahren praktisch nie zu Verfahren wegen Datenschutzverletzungen gekommen sei – «ausser seitens Fachhochschulen». Es fehlten Tathand-lung, Auskunftspflicht und Strafrechtsverstoss, somit sei das Verfahren einzustellen oder seine Klientin freizusprechen.
Freispruch, aber knapp an Schuldspruch vorbei
Der Anwalt bekam Recht: Das Gericht sprach die Gewerkschafterin von der Anklage der Datenschutzgesetz-Übertretungen frei. Die Verfahrenskosten von 1450 Franken und die Anwaltskosten der Beschuldigten von 9000 Franken übernimmt der Staat. Zwar habe die Gewerkschafterin den Fragenkatalog der Anwaltskanzlei nie integral beantwortet, was eine «Totalverweigerung» sei. Diese sei aber nicht strafbar und hätte von der Privatklägerin auf dem Zivilweg durchgesetzt werden müssen, begründete der Richter den Freispruch. Die Beschuldigte habe keine unvollständige Auskunft erteilt, weil sie nicht den Eindruck der Vollständigkeit erweckte. Vielmehr sei es umgekehrt die Privatklägerin, die das Auskunftsbegehren ihres Anwalts quasi zurückgezogen habe, indem sie die Umfragergebnisse nicht hören wollte – allenfalls sei dies sogar «rechtsmissbräuchlich». Schliesslich, so der Richter, habe Akeret auch keine falsche Auskunft erteilt, weil sie eine andere Auffassung von Personendaten hatte und «lediglich eine Umfrage machte». Der Gewerkschafterin gab der Richter allerdings auf den Weg, dass Gewerkschaften sich «nicht im rechtsfreien Raum» bewegten und solche Umfragen «datenschutzrechtlich immer heikel» seien. «Je nach Ihrem Verhalten hätte auch ein Schuldspruch ergehen können.»
VPOD erleichtert, OST kommentiert Fall nicht
Der VPOD Ostschweiz hatte den Gerichtstermin mit Spannung erwartet und eine Klärung begrüsst, wie Andrea Schöb, Präsidentin der kantonalen Personalverbände-Konferenz, im Vorfeld erklärte. Zusammen mit ihrem SP-Kantonsratskollegen Dario Sulzer hatte Schöb zu den Vorgängen an der OST einen Vorstoss verfasst. Vom Urteil zeigte sich der VPOD erleichtert, wie der Vorstand abends mitteilte: «Der Freispruch bestärkt uns als Gewerkschaft und ihre operativ tätigen Personen, sich weiterhin mit aller Kraft für das Personal zu engagieren.» Nicht weiter kommentieren mag den Fall der ehemaligen Departementsleiterin die Schulleitung. Die OST sei nicht Partei bei dieser rechtlichen Auseinandersetzung, hiess es im Vorfeld auf Anfrage beim Rektorat. Die Gerichtsverhandlung habe die OST weder angeregt noch trage sie die Kosten dafür. Als der Konflikt im Frühling 2023 publik geworden war, hatte sich die Schule hinter die Departementsleiterin gestellt und angekündigt, die Anwaltskosten einer Zivilklage zu übernehmen. Diese wurde wie gesagt fallen gelassen.